Mutasem aus Daraa, Syrien

Deutsch lernen fällt ihm schwer, seine Töchter sprechen es besser als er: Mutasem wohnt in Oberweier bei Bühl und macht gerade einen Deutschkurs. Seine Nachbarn sind etwas älter, sehr nette und hilfsbereite Menschen. Er würde gerne mehr mit ihnen reden, aber er versteht den badischen Dialekt nur schlecht. Das macht ihn oft unsicher und lässt ihn lieber schweigen, was man als Unhöflichkeit missverstehen könnte.

Seine Eltern stammen aus Palästina. Sie flohen 1948 vor dem Krieg nach Syrien, wo Mutasem geboren wurde. 2011 kam der Bürgerkrieg nach Syrien. Mutasem und seine Familie leben zu diesem Zeitpunkt noch in Daraa und somit in einem Epizentrum der Auseinandersetzungen. Sie bleiben noch vier Jahre in Syrien, bis eine von ihm belieferte Apotheke an Assads Gegner verkauft wird. Ein warnender Anruf seines Kollegen lässt ihn aus der Stadt fliehen, so lange er es noch kann. Er will nicht zwischen die Fronten im Bürgerkrieg geraten. Seine beiden kleinen Kinder sind sein Ein und Alles. Sie will er schützen, sie sollen nicht einem Massaker zum Opfer fallen.

Mit seinen zwei Töchtern zieht er in die Nähe von Aleppo, wo sie noch ein Jahr wohnen. Als dort die Islamisten beginnen, sich die Stadt einzuverleiben, flieht er in die Türkei und von dort nach Deutschland. Seine Kinder besuchen hier die Grundschule. Sie sind knapp drei Jahre hier und können Deutsch vielleicht irgendwann besser als Arabisch. Mutasem ist froh, da sie hier sicher aufwachsen und viele Möglichkeiten haben, auch die westlichen Freiheiten schätzt er sehr. Wenn er seinen Deutschkurs abgeschlossen hat, würde er gerne einen guten Job finden, um seine Kinder zu versorgen. Große ausgefallene Pläne und Träume hat er nicht. “Ich muss Vater und Mutter sein”, sagt er mit einem ehrlichen und doch leicht angestrengten Lächeln.

Seine geschiedene Frau wohnt in Schweden, es gab einmal ein Treffen zwischen ihr und den Töchtern in Berlin bei den Verwandten der Mutter. Getrennt haben sich die beiden bereits in Syrien; die Mutter der Kinder wollte ihren eigenen Weg gehen. Seine Kinder träumen viel, jede Woche von etwas anderem, wie es Kinder nun mal tun. Ihr liebevoller Vater stellt sein Leben hintenan. Nichts ist ihm wichtiger als ihr Wohl. Auch deshalb ist er schlecht auf Syriens Diktator Assad zu sprechen. Er habe, sagt Mutasem, das Unheil vier Jahre sehen müssen und sieht die Schuld ganz klar bei Assad.

Bundeskanzlerin Merkel vergleicht er mit König Negus Ashama ibn Abjar aus dem 7. Jahrhundert. Den Erzählungen nach hat dieser christiche König Muslime in seinem Land aufgenommen, welche vor Verfolgung in Mekka flohen. Die Geschichte stammt noch aus den Anfängen des Islams und scheint unter Muslimen nicht unbekannt zu sein. Mutasem ist beeindruckt von der Willkommenskultur unseres Landes.

Vor einem Jahr lernt er über das Café International in Bühl Markus von den Volleyball Bisons kennen. Markus leitet das Aufbau-Team. Gemeinsam mit weiteren Syrern bereiten sie die Halle für die Bundesliga-Spiele vor, kleben die schweren Bodenbahnen und rollen sie nach dem Spiel wieder auf. Nach der harten Arbeit genießen er und seine Töchter die Atmosphäre bei den Spielen und fiebern mit „ihrer Mannschaft“, den Bisons, mit. Mutasem ist sehr dankbar für diese Aufgabe, erhält er dadurch doch auch ein bisschen Anerkennung und soziale Kontakte.

In Bühl darf er für die Kinder als nächste Generation hoffen, dass sie in Frieden und Sicherheit groß werden und ihren eigenen Träumen folgen können. Dafür lebt Mutasem – als Vater und Mutter.

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Paul Schneider

Abiturient der Anne-Frank-Schule Rastatt, Abischnitt: 1,0. Träger des Physikpreises. Mit breiten Interessen: Kaum ein Schulfach, das ihn nicht reizt, das er ausblenden würde. Hinterfragen, weiterdenken und interpretieren sind sein Naturell. Kein Stubenhocker, der nur über Bücher brütet, sondern der gerne reist, Menschen kennenlernt, sich in der Natur bewegt. Ein grenzenloser Freigeist. Laut und gleichzeitig leise. Voller Gegensätze, die bereichern. Student der Physik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz