Elias und Sezar aus Damaskus, Syrien

„Warum sind die Deutschen so unzufrieden? Wenn der Strom kurz ausfällt, jammern sie.“ Elias weiß, wovon er redet. Bei Familienangehörigen in Damaskus gibt es am Tag immer mal wieder nur eine Stunde Strom. Zu wenig für den Betrieb eines Kühlschranks oder für einen Waschmaschinendurchgang. Selbst jetzt noch nach dem Krieg. Die beiden gebürtigen Syrer – Elias und sein Bruder Sezar – kennen beide Welten. Das Kriegsland Syrien und das Friedensland Deutschland. Auch deshalb sind sie dankbar und versuchen, aus allem das Beste zu machen. Aus den Teenagern wurden junge Männer. Aus den Schülern mittlerweile Studenten. Aus den Syrern deutsche Staatsangehörige.

„Einige Wünsche und Träume wurden nicht erfüllt, aber ich arbeite daran, um andere zu erfüllen. Einfach immer weiter machen.“ Elias ist pragmatisch – eine Eigenschaft, die viele Flüchtlinge entwickelt haben. Apropos Flüchtlinge. Der Terminus passt nicht mehr. Elias und Sezar sind hier längst angekommen. Elias studiert Bauingenieurwesen in Karlsruhe, Sezar Wirtschaftsingenieurwesen in Pforzheim. Beide haben die deutsche Staatsangehörigkeit, so wie ihre Mutter. Ihr Vater wartet noch darauf. Die typische Frage: Habt ihr was Deutsches angenommen? „Pünktlichkeit“, sagen beide lachend.

Eine Rückkehr nach Syrien haben beide nicht vor. Ihr Leben spielt in Deutschland. Hier haben sie Freunde, eine gute berufliche Perspektive und die Wertschätzung, die sie selbst erleben und die sie gegenüber ihrem neuen Heimatland empfinden. Was bekommt ihr mit von der Stimmung in Deutschland gegenüber Migranten? Sezar: „Man hört viel Negatives über Flüchtlinge. Aber man darf nicht alle in einen Topf werfen. Viele sind gut integriert und tragen Gutes für Deutschland bei. Zum Beispiel im Kampf gegen Fachkräftemangel.“ Oder wie Sezar, der Kapitän in einer Fußballmannschaft ist. Und wie Beiden, die Beiräte in einem Verein sind.

Elias hatte sogar eines der üblen „Abschiebe-Flugtickets“ der Remigrations-Partei im Briefkasten. Den Wisch hat er sofort weggeschmissen. Am liebsten würde er allen, die schlecht über Flüchtlinge reden, sagen: „Glauben Sie mir, keiner würde sein Land einfach so verlassen. Wir sind aus dem Krieg geflohen. Wir haben unsere Familien, Freunde, Häuser und unserer Land verloren. Betrachten Sie die Flüchtlinge als Gäste. Geben Sie ihnen eine Chance, zeigen Sie ihnen Ihr Vertrauen und Ihre Sympathie. Daraus wird was Tolles.“ So wie bei Elias und Sezar.

Sie waren glücklich. Sie waren erfolgreich. Sie hatten viel. Sezar und seine Familie: Der Vater hatte ein eigenes Restaurant, seine Mutter war Einkäuferin für Mode, zusammen mit seinem Bruder Elias war er auf einer guten Schule. Doch im Krieg änderte sich alles. 2015 fällt der Entschluss: Sie fliehen. Erst von Damaskus mit dem Auto nach Beirut im Libanon, mit dem Flugzeug nach Ankara. Da die Eltern gespart hatten, konnten sie Plätze auf einem Schiff nach Griechenland ergattern, das nicht mit Flüchtlingen überfüllt war. Von Athen ging es schließlich weiter über die Balkan-Route, bis sie die deutsche Grenze erreichten. In Bayern nahm man ihre Fingerabdrücke. Dann ging es weiter in die Schweiz, wo seit dreißig Jahren ein Onkel lebt. Doch das Familienglück währt nicht lange: Nach sechs Monaten werden sie nach Deutschland abgeschoben; schließlich landen sie in Rastatt.

„Meine Eltern hatten große Angst, dass ich zur Armee muss“, erzählt Elias. Es war nur eine Frage der Zeit, wann das Militär auf ihn aufmerksam geworden wäre. Das wollten seine Eltern nicht. Sie wollten ihren beiden Söhnen eine Zukunft ohne Krieg und ohne Leid ermöglichen. Ein Leben ohne Angst, den eigenen Sohn beerdigen zu müssen. „Wenn Menschen nicht frei sein können, werden sie unglücklich“ sagt Sezar in seinem klaren Deutsch. Er hat seinen 18. Geburtstag im Badischen gefeiert. Mit vielen Leckereien aus seiner syrischen Heimat. Wie es Tradition ist. „In der Fremde erfährt man, was die Heimat wert ist“, sagt Elias. Aber außer den Erinnerungen ist der kleinen Familie nicht viel geblieben. Natürlich, sie sind dankbar für ihr Leben und für die Hilfe in Deutschland. Aber wollen junge Menschen nicht mehr?

Träume ausleben. Pläne entwickeln. Wünsche verwirklichen. Typisch für ihre Generation und ihre Bildungsschicht: Studieren. Auto kaufen. Familie gründen. Haus bauen. Davon sind die Brüder weit entfernt. Elias hat seinen Berufswunsch begraben: Er wollte Zahnarzt werden. Der 19-Jährige ist Klassenbester und muss doch Realist sein: Er hofft auf einen Ausbildungsplatz. Zusammen mit seinem Bruder lernt er viel und unterstützt seine Eltern. Auch in der Gemeindearbeit. Denn die Familie ist christlich erzogen. In Syrien gingen sie in die Kirche, nicht in die Moschee. In Deutschland helfen Sie dem Pfarrer bei kleinen Tätigkeiten, verkaufen syrische Köstlichkeiten beim Pfarrfest – und haben vor allem muslimische Freunde aus Syrien.

Sezar spielt zudem Fußball, so wie bereits in Syrien. Sport hilft ihm beim Deutschlernen. So wie jeden Freitag beim Treffen vom Verein „Junge Flüchtlinge Rastatt“. Dort sieht er seine arabischen Kumpel. Seit Neuestem haben sie eine Regel: Wer im Deutsch-Unterricht ein arabisches Wort sagt, muss 10 Cent zahlen. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge erfüllen sie die Strafe. Denn wenn genug zusammen kommt, wollen sie sich einen Wunsch erfüllen: Alle zusammen in den Europa-Park Rust. Da sind ihre Träume wie bei allen Jugendlichen: Spaß haben und Action erleben. Friedlich. Ohne die harte Realität Krieg.

Dieser Beitrag wurde 2017 von Ute Kretschmer-Risché geschrieben und 2025 aktualisiert.